Die Einzigartigkeit der Lehre Jesu

Obwohl Jesus mit seiner Sendung voll auf dem Wurzelgrund des Alten Testaments steht, ist sowohl sein Verhalten als auch die Auslegung der jüdischen Gesetze einzigartig. Und das in mehrerlei Hinsicht:

Die Berufung der Jünger
Zur Zeit Jesu bewarben sich interessierte Schüler bei einem Rabbi (Gesetzeslehrer) um eine Aufnahme in den Kreis seiner Jünger. Nach eingehender Prüfung des Bewerbers wurde der Kandidat entweder abgelehnt oder mit dem hebräischen Ruf „Folge mir nach“ als Schüler berufen. “ Je höher das Ansehen des Rabbis , desto schwieriger waren die Prüfungen. Dieses elitäre System steigerte die Reputation des Rabbis wie den seiner Schüler.“ 1)
Jesus tat das nicht. Seine Jünger waren einfache Fischer und nicht Gesetzesgelehrte oder Angehörige einer geistigen Elite. Extremstes Beispiel war die Berufung des Matthäus (Levi), der von Beruf Zöllner (Steuereintreiber) war und damit ein Sünder. Für gläubige Juden war dieser Beruf gemäß dem Gesetz verboten. Trotzdem gab es einige Juden, die diesen Beruf ergriffen, weil es neben dem regulären Einkommen von der römischen Besatzungsmacht erlaubt war, noch nebenher in die eigene Tasche zu wirtschaften.
Gesetzestreue Juden verkehrten nicht mit ihnen und Buße war für solche Menschen fast unmöglich, denn sie galten als nicht vertrauenswürdig. 4) Und genau zu diesem sagt Jesus folge mir nach.
In der Serie „The Chosen“ ist diese Szene filmisch dargestellt. 6)

https://youtu.be/7IUL9yq0We8

Und nicht nur das: Jesus und seine Jünger besuchten sein Haus. Die Kritik der Pharisäer ist in Lukas 5, 30 überliefert: Wenn Jesus wirklich der Messias wäre, dann würde er nicht mit dieser Art von Menschen verkehren. Jesus antwortet (Lukas 5, 30-31): Es ist der Kranke, der Heilung benötigt, nicht der Gesunde.
Aus der Bibel geht hervor, dass Pharisäer viele Opfer brachten und sehr genau darauf achteten, die Gesetze äußerlich genau einzuhalten. Das wichtigste Gebot und die innere Bedeutung des Gesetzes erkannten sie aber nicht: Barmherzigkeit und Liebe zu den Mitmenschen und Liebe zu Gott. Der Mangel an Barmherzigkeit zeigte sich in den Gesetzen, die sich gegen die Zöllner richteten und diese aus der Gemeinschaft ausschlossen. 2)
Jesus wollte genau das Gegenteil (Lukas 5, 32): „Ich bin gekommen, um Sünder zur Umkehr zu Gott zu rufen, und nicht solche, die sich sowieso für gut genug halten.“ Er wollte Sünder in die Gemeinschaft mit Gott zurückführen. Keinesfalls hieß er damit die Sünde gut oder beteiligte sich daran. Jesus hatte aber die Macht, die Herzen der Menschen zu wandeln, was die damaligen Gesetzeslehrer nicht hatten. Deswegen verstanden sie seine Absicht nicht. Das Neue Testament kennt und beschreibt die erstaunlichsten Wandlungsgeschichten von Menschen, die von Sündern zu Heiligen wurden, ja sogar von Christenverfolgern die zu Aposteln wurden (Paulus).

Jesus und das mosaische Gesetz:
Das mosaische Gesetz beinhaltet die 613 Gebote. Jesus hielt sich an das mosaische Gesetz, wenn sich auch seine Auslegung grundlegend von der Auslegung der Pharisäer und Gesetzeslehrer unterschied.

Matthäus 5,17″: Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen. „

Die überlieferte Auseinandersetzung mit den Pharisären hinsichtlich des mosaischen Gesetzes findet sich bei der Begegnung zwischen Jesus und der Ehebrecherin:

Johannes 8, 4: 2: „Frühmorgens aber kam Jesus wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm, und er setzte sich und lehrte sie. 3 Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte 4 und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. 5 Mose hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
6 Das sagten sie aber, um ihn zu versuchen, auf dass sie etwas hätten, ihn zu verklagen. Aber Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde. 7 Als sie ihn nun beharrlich so fragten, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. 8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
9 Als sie das hörten, gingen sie hinaus, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. 10 Da richtete Jesus sich auf und sprach zu ihr: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? 11 Sie aber sprach: Niemand, Herr. Jesus aber sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Die Antwort Jesu steht im Einklang mit dem mosaischen Gesetz. Als Strafe für Ehebruch steht die Steinigung; das Prozedere ist ebenfalls beschrieben:
“Ein Mann nun, der mit der Frau eines anderen Mannes Ehebruch begeht, der begeht Ehebruch mit der Frau seines Mitmenschen. Er sollte unweigerlich zu Tode gebracht werden, der Ehebrecher wie auch die Ehebrecherin.” (3. Mose 20,10),
Und wenn du findest, das es gewiß wahr ist, daß solcher Greuel in Israel geschehen ist, 5 so sollst du den Mann oder das Weib ausführen, die solches Übel getan haben, zu deinem Tor und sollst sie zu Tode steinigen. 6 Auf zweier oder dreier Zeugen Mund soll sterben, wer des Todes wert ist; aber auf eines Zeugen soll er nicht sterben. „(4. Mose 35, 30)
7 Die Hand der Zeugen soll die erste sein, ihn zu töten, und darnach die Hand alles Volks, daß du das Böse von dir tust.“
(Dtn 17,6-7 f Dtn 22,22 ).
Als Mose über die wahren und treuen Zeugen in einer Gerichtsverhandlung schrieb, dürfen die zwei oder drei Zeugen, auf deren Aussage hin jemand verurteilt werden soll (und die auch verantwortlich dafür waren, den ersten Stein zu werfen), nicht derselben Sünde schuldig sein, derentwegen sie den anderen anklagten. 2)
Jesus verhält sich somit konform zum Gesetz des Mose. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt; einer nach dem anderen ging weg. Ob alle schuldig waren oder unter ihnen derjenige war, mit dem die Frau beim Ehebruch ertappt worden war, bleibt offen. Schließlich blieb die Frau allein mit Jesus zurück.

Die Mischna („Überlieferung der Alten“ oder „Tradition der Väter“):
Die Phärisäer beachteten neben den 613 Geboten Mose noch die rabbinischen Gesetze; die Gesetze vom Zaun. Dieser Zaun bestand nun aus neuen Regeln und Vorschriften, die auf den Gesetzen des Mose aufbauten. Auf diese Weise sollte ein göttliches Gericht wie die babylonische Gefangenschaft verhindert werden, die eine Katastrophe für Israel darstellte. Die Überlegung dahinter war: Ein Jude kann auf diese Weise zwar ein Gesetz des Zaunes brechen, aber nicht das mosaische Gesetz. 2)
„Die Mischna enthält vorwiegend Bestimmungen zum jüdischen Religionsgesetz. Sie ist eine Synthese der damals vorherrschenden Meinungen unter den Gelehrten in der Akademie und am Gerichtshof in ihrer gesamten Breite und auch Widersprüchlichkeit. Zahlreiche Diskussionen enden scheinbar offen, wobei die rabbinische Literatur bestimmte Auslegungsregeln kennt, nach welcher Autorität im Zweifelsfalle zu entscheiden ist. Bemerkenswert an der Mischna ist ferner die mangelnde Begründung der darin zusammengeführten Gesetze aus den heiligen Schriften des Judentums. Nach der jüdischen Tradition wurde das mündliche Gesetz gleichzeitig mit dem geschriebenen Gesetz überliefert, es wird also nicht direkt davon abgeleitet.“ 3)
Im Neuen Testament findet sich als Begriff für die Mischna “Überlieferung der Alten“ oder „Die Tradition der Väter“. Das Neue Testament ist voll mit Beispielen, in denen Jesus mit den Pharisäern über diesen „Zaun“ in Diskussionen gerät, weil er diese Menschengesetze nicht anerkennt:
1. Beispiel Fasten: Zur Zeit Jesu hatten die Pharisäer den Brauch zu fasten. Aber Jesus und seine Jünger taten dies nicht. Als er darauf angesprochen wurde, antwortete er wie folgt:
„Man kommt nicht zu einem Hochzeitsfest um zu fasten, sondern um zu feiern. Der Bräutigam war anwesend. Solange er dort war, gab es keinen Grund zu fasten. „ (Lukas 5, 34)

2. Beispiel: Hände waschen vor dem Essen
Matthäus 15,1-20: 1 Kurz darauf kamen einige Pharisäer und Schriftgelehrte aus Jerusalem zu Jesus und fragten ihn: 2 «Weshalb befolgen deine Jünger unsere alten Traditionen nicht? Sie waschen sich nicht einmal vor dem Essen die Hände.» 3 Jesus fragte zurück: «Und weshalb brecht ihr mit euren Vorschriften die Gebote Gottes? 4 So lautet ein Gebot Gottes: ‚Ehre deinen Vater und deine Mutter! Wer seine Eltern verachtet, der soll sterben.’1 5 Ihr aber sagt: ‚Wenn jemand seinen hilfsbedürftigen Eltern erklärt, dass er ihnen nicht helfen kann, weil er sein Vermögen dem Tempel vermacht hat, dann hat er nicht gegen Gottes Gebot verstossen.’2 6 Damit setzt ihr durch eure Vorschriften das Gebot Gottes ausser Kraft. 7 Ihr scheinheiligen Heuchler! Jesaja hat ganz richtig von euch gesprochen: 8 ‚Diese Leute können schön über Gott reden, aber mit dem Herzen sind sie nicht dabei. 9 Ihr Gottesdienst ist wertlos, weil sie ihre menschlichen Gebote als Gebote Gottes ausgeben.“

Die Quintessenz ist die Stelle Matthäus 9, Verse 16 – 17:
„Niemand setzt ein Stück neuen Stoff auf ein altes Kleid; denn der neue Stoff reißt doch wieder ab und es entsteht ein noch größerer Riss.
Auch füllt man nicht neuen Wein in alte Schläuche. Sonst reißen die Schläuche, der Wein läuft aus und die Schläuche sind unbrauchbar. Neuen Wein füllt man in neue Schläuche…“

Was er damit sagen will ist, dass er nicht gekommen ist, seine Lehre auf dem „Zaungesetz“ bzw. der äußerlichen Gesetzesgerechtigkeit der Phariäer aufzubauen, sondern etwas Neues begründen will.

Jesus und die Gerechtigkeit religiösen Elite seiner Zeit (die Phärisäer):
Die Phariäser erwarteten, dass der Messias ein Pharisäer sein und an die Mischna und ihre Gesetze glauben würde. Sie erwarteten auch von Jesus die Unterwerfung unter die Autorität der Mischna. Die Pharisäer boten ihren Weg der Gerechtigkeit an. Ihre Lehre besagte, dass ganz Israel Anteil am kommenden Zeitalter hat. 2) Was lehrt nun Jesus?

Matthäus, 5, 20: Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäer nicht weit übertrifft, so werdet ihr gar nicht in das Reich der Himmel eingehen!

Das sind klare Worte, die einerseits den Anspruch der Pharisäer zurückweist ausreichende Gerechtigkeit für das Reich Gottes zu besitzen und anderseits auch den Anspruch erhebt auf die richtige Auslegung des Gesetzes.
Die Auslegungen des mosaischen Gesetzes durch Jesus sind in der Bergpredigt enthalten. Die Bergpredigt wurde nach der Berufung der Jünger gehalten, als es ein starkes öffentliches Interesse an Jesus gab.
Vorangegangen waren diverse Konflikte über die Autorität der Mischna. Wenn Jesus sich auf das mündliche Gesetz bezieht, beginnt er mit der Formulierung (z.B. Matthäus, 15, 21) „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt wurde“ beim mosaischen Gesetz beginnt er er mit der Formulierung “ es steht geschrieben“. Seine Auslegung des mosaischen Gesetzes unterschied sich wesentlich von den Auslegungen der damaligen Zeit insbesondere der der Pharisäer. 2)

Beispiel 1 : Matthäus 5, Vers 21: Du sollst nicht töten. Du sollst nicht eines geplanten Mordes schuldig werden. Die Pharisäer interpretierten dieses Gebot äußerlich; d.h. man war nicht schuldig dieses Gesetz gebrochen zu haben, bevor man nicht die Tat ausgeführt hatte. Jesus sagt hier, dass die Gerechtigkeit des Gesetzes schon vor der Tat gebrochen ist, auch wenn die Tat noch gar nicht zur Ausführung gekommen ist. In Matthäus 5, 22 sagt er deshalb, wenn jemand seinen Bruder einen Dummkopf nennt (weil man ihn nicht mag), hat man die Gerechtigkeit des Gebotes bereits gebrochen. Es ist die innerliche Ungerechtigkeit, die der äußeren Ungerechtigkeit vorangeht. Der Mord im Herzen führt zur Tat des Mordes. Ob es jedoch zur Tat kommt oder nicht, die Gerechtigkeit des Gebotes ist auf jeden Fall gebrochen worden.

Beispiel 2: Matthäus 5, 27: Du sollst nicht Ehebrechen. Auch hier erklärt Jesus, dass die Gerechtigkeit schon verletzt wird, wenn man eine andere Frau begehrlich ansieht. Die Ehe ist im Herzen bereits gebrochen.

Jesus zeigt hier, dass jemand obwohl er äußerlich penibel alle Gebote einhält, dennoch innerlich voller Bosheit und Ungerechtigkeit sein kann. Das war genau sein Vorwurf an die religiöse Elite seiner Zeit, der er attestierte sie seien „wie weiß getünchte Gräber, äußerlich schön anzusehen aber innen voller Totengebeine und Unreinheit“. (Matthäus 23, 27).

Matthäus 15,12 :Da traten die Jünger näher zu ihm und sagten: «Weisst du, dass du damit die Pharisäer verärgert hast?» 13 Jesus antwortete: «Jede Pflanze, die nicht von meinem himmlischen Vater gepflanzt worden ist, wird ausgerissen. 14 Lasst euch nicht einschüchtern! Sie wollen Blinde führen, sind aber selbst blind. Sie werden zusammen mit den Blinden, die sie führen wollen, in den Abgrund stürzen.» 15 Da sagte Petrus: «Das haben wir nicht verstanden.» 16 «Selbst ihr habt es immer noch nicht begriffen?» fragte Jesus. 17 «Versteht ihr denn nicht, dass alles, was ein Mensch isst, zuerst verdaut und dann ausgeschieden wird? 18 Aber böse Worte kommen aus einem bösen Herzen, und sie beschmutzen den Menschen, der sie ausspricht. 19 Aus dem Herzen kommen böse Gedanken, die dann zu Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, Lüge und Verleumdung führen. 20 Durch sie wird der Mensch vor Gott unrein, nicht dadurch, dass man zum Essen geht, ohne sich vorher die Hände zu waschen.»»3 1

In Matthäus 7, 24-27 stellt er das jüdische Volk vor die Entscheidung entweder auf der pharisäischen Interpretation des Gesetzes ihre Gerechtigkeit aufzubauen, was gleichbedeutend damit ist, ein Haus auf Sand zu bauen. Oder aber auf seiner Auslegung der Gerechtigkeit des Gesetzes aufbauen, das dem Bau eines Hauses auf Felsen entspricht. Ein Gebäude, das auf solch einem Fundament gebaut ist, bliebt bestehen. 2)

Die Bergpredigt enthält die Interpretation Jesu der wahren Gerechtigkeit, die die Reinheit des Herzens mit einschließt.
Dies war neben der Kontroverse um die Autorität der Mischna (Gesetz der Alten) der Hauptkonfliktpunkt mit den Pharisäern. Letztendlich führte dies zur Ablehnung Jesu als Messias durch die Pharisäer. 2)
________________________________________________________________________________

Quellen:
1) Klaus Douglass und Fabian Vogt, Expedition zum Ich: In 40 Tagen durch die Bibel (Glashütten/Emmelsbüll: C & P Verlag, 2006), S. 211.
2) Fruchtenbaum, A.: Höhepunkte im Leben Jesu aus jüdischer Sicht (Abschrift Vortrag Israelkonferenz 1992)
3) https://dewiki.de/Lexikon/Mischna
4) https://www.bibelkommentare.de/lexikon/3672/zoellner
5) https://www.nzz.ch/folio/wie-lebt-man-mit-613-religiosen-regeln-ld.1615671
6) Die Serie „The Chosen“ behandelt das Leben Jesu und beinhaltet auch Szenen, die nicht auf die Evangelien zurückgehen. Es sind nur Szenen verlinkt, die auch in der Bibel beschrieben werden.